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2005-09-07: Analyse 
Die Hilflosigkeit der Supermacht
Hurrikan "Katrina" macht viele Schwächen Amerikas schmerzlich spürbar
 
ape.USA. Während in New Orleans und im übrigen Katastrophengebiet die Hilfsmaschinerie allmählich greift, ist in den USA eine erbitterte Diskussion um die Fehler und Versäumnisse der jüngsten Tage wie der vergangenen Jahre nicht mehr aufzuhalten. Denn Amerika sieht seine vom Hurrikan "Katrina" geschlagenen sachlichen, leiblichen, seelischen Verwüstungen - und findet in diesen Bildern fast nichts mehr vom Glanz der "mächtigsten Nation auf Erden".
 
Die verseuchte Brühe in den Straßen von New Orleans nimmt ganz langsam ab. Sie verdunstet, versickert, wird ins Meer gepumpt. Zurück bleiben am Ort giftiger Dreck, Zerstörung, Leichen. Zurück bleibt im Land der Schock, den das urplötzliche Wegbrechen zivilisatorischer Gewissheiten mit sich bringt. Chaos wie in einem afrikanischen Krisengebiet; Not, Elend, Hilflosigkeit; dazu wilde Ausbrüche kreatürlicher Rücksichtslosigkeit und barbarischer Gewalt. Das alles mitten im reichen und großen Amerika. Die Menschen sind fassungslos, erschüttert - und wütend. Die Nation fühlt sich gedemütigt.

US-Präsident George W. Bush verspricht uneingeschränkte Unterstützung, außerdem würden alle Regierungsebenen "das Beste tun, was sie können". Besonders viel scheint das nicht zu sein, und besonders gut auch nicht, vor allem, wo es hätte schnell und im koordinierten Großeinsatz staatlicher Kräfte vor sich gehen müssen. Derart lassen sich die während der vergangenen Tage aus den USA übermittelten Stimmen von Betroffenen und Beobachtern zusammenfassen.

Einige der wichtigsten Kritikpunkte, die in der jetzt aufschäumenden Diskussion genannt werden:

Die Armen "vergessen"

Der Bürgermeister von New Orleans erließ zwar einigermaßen rechtzeitig den Befehl zur Evakuierung der Stadt, "vergaß" dabei aber wohl, dass rund 100 000 seiner 500 000 Mitbürger gar nicht die Möglichkeit hatten, dieser Anweisung Folge zu leisten. Grund: Diese Menschen sind arm, besitzen weder ein Auto noch das Geld für Flugtickets oder eine Vorstellung davon, wo sie andernorts ohne Dollars in der Tasche unterkommen sollten. Eigentlich versteht man unter Evakuierung eine organisierte, von Krisenstäben koordinierte Räumung auch mittels Bussen, Lastwagen, Sonderzügen. In den USA heißt Evakuierung: Rein in den Privat-Pkw und ab durch die Mitte; jeder so gut er kann.

In New Orleans gab es weder einen geeigneten Notfallplan noch die Personal- und Sach-Ressourcen für eine gelenkte Evakuierung. Ebenso wenig gab es einen Plan und die notwendigen Hilfsmittel für die Rettung und Versorgung der Zurückgebliebenen. Und überhaupt keine Planungen gab es auf nationaler Ebene für den Tag X.

So war und ist es die Masse der Armen, die das Unglück am härtesten traf. Weil sie ihr weniges Hab und Gut obendrein nie versichern konnten, sieht ihre Zukunft auch am düstersten aus. Und: Diese Menschen sind überwiegend Farbige. Weshalb die Katas-trophe in den USA neben der lange unter patriotischem Furor begrabenen sozialen Frage zugleich die Rassenfrage wieder ins Bewusstsein der Nation zwingt.

Präsident Bush selbst nannte Krisenmanagement und -einsatz "nicht akzeptabel". Allerdings trägt seine eigene Innen- wie Außenpolitik da-ran nicht unerheblich Mitschuld. Völlige Ignoranz in Umweltfragen, nicht allein, was internationalen Klimaschutz angeht: Die Bush-Regierung ließ in jüngerer Vergangenheit Küstensicherungsprogramme in der jetzt betroffenen Region auf Eis legen oder Umweltforschungsprogramme für den Raum New Orleans finanziell austrocknen.

Der nationale Katastrophenschutz "Fema" wurde dem Gigantapparat der neuen US-Heimatschutzbehörde einverleibt. Problem dabei: Dieser "Heimatschutz" dient primär der Terrorabwehr, Naturkatastrophen wurden zum randständigen Thema. Schließlich die Frage der Nationalgarde: Als bewaffnete Reservearmee ohnehin keine Idealbesetzung für den Katastropheneinsatz, sind deren Kräfte jetzt auch noch in großem Umfang im Irak-Krieg und in Afghanistan engagiert.

Die Supermacht muss feststellen, dass ihre Kräfte begrenzt sind. Und es sind die eigenen Leute, sind Amerikaner, die jetzt massiv die Frage nach falsch gesetzten Prioritäten aufwerfen. Die Ansicht Bushs und einiger Gouverneure, man habe eine Katas-trophe solchen Ausmaßes nicht kommen sehen können, ist ihrerseits "nicht akzeptabel". Wissenschaftlich fundierte Warnungen gerade hinsichtlich der Gefährdung von New Orleans sind Legion. Dass die in den ganzen USA maroden Systeme der weitgehend privatisierten Strom- und Telefonversorgung schon bei kleineren Unwettern den Geist aufgeben, ist ebenfalls hinlänglich bekannt.

Die Gewalt dieses Hurrikans macht viele Schwächen des amerikanischen Systems im Allgemeinen und seines gegenwärtigen Präsidenten im Besonderen schmerzlich spürbar. Zivilcourage und patriotisches Engagement können sie mildern, aber nicht beseitigen. Amerika weiß das jetzt und wird deshalb nach "Katrina" ein anderes werden als es vorher war.

Für uns unvorstellbar

Doch bei aller berechtigten Kritik in den USA: Man hüte sich im alten Europa vor Selbstgefälligkeit. Wir haben eine Naturkatastrophe solchen Ausmaßes noch nie erlebt. Und keiner weiß wirklich, wie ein Unglück hier zu Lande ausgehen würde, das auf einen Schlag eine Million Menschen aus ihren Häusern treibt, fast 300 000 davon auf Monate oder für immer. Ein Unglück, das eine Fläche von mehr als der Hälfte Deutschlands heimsucht, Tausende Menschenleben kostet, und gegen das die jüngsten Jahrhundertfluten am Rhein, in Ostdeutschland oder in den Alpen Kinderspiele waren.

Schon der Gedanke an vielleicht 50 000 Obdachlose und einige hundert Schwerverletzte bei unpassierbaren Straßen und großräumigem Stromausfall treibt auch hiesigen Katastrophenschützern den Angstschweiß auf die Stirn. Notfallpläne sind eine unverzichtbare Basis, aber der Notfall ist dann doch wieder etwas ganz anderes.
 
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