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2005-08-27: Feature / Interview
Raiskin: "Chemie stimmte sofort"
Der neue Chefdirigent der Rheinischen Philharmonie im Interview
- Beeindruckt von Orchester und der Stadt Koblenz
 
ape. Daniel Raiskin, der neue Chefdirigent der Rheinischen Philharmonie, ist als Solobratschist und Dirigent eine gefragte Person im internationalen Musikbetrieb. Wir erreichten ihn fürs erste RZ-Interview beim Frühstück in einem Hotel im dänischen Roskilde. Von einem Auftritt in Berlin kommend, gab er bei der dortigen Schubertiade ein Konzert, um gleich darauf zu CD-Aufnahmen nach Helsinki zu fliegen. Am 23. September wird er dann in der Koblenzer Rhein-Mosel-Halle sein erstes Konzert im neuen Amt geben.
 
Herr Raiskin, Sie hatten zuvor erst ein Mal mit dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie als Dirigent gearbeitet. War der erste Eindruck gleich so stark, dass Sie sich dann sagten "bei denen will ich Chefdirigent werden"?

Bei meinem Gastdirigat im Dezember 2004 wusste ich noch gar nicht, dass Koblenz einen GMD sucht. Die Begegnung damals mit der Rheinischen Philharmonie war außergewöhnlich. Normalerweise braucht es einige Zeit, bis das Eis zwischen Orchester und einem neuen Dirigenten schmilzt. In diesem Fall herrschte jedoch sofort eine offene, spannungsfreie, ganz auf die Musik konzentrierte Atmosphäre. Ich fühlte mich von den Musikern gleich angenommen und verstanden. Die Chemie stimmte vom ersten Augenblick an. Als dann die Anfrage aus Koblenz kam, konnte ich mir deshalb sehr gut vorstellen, dort Chefdirigent zu werden

Trotz 350-jähriger Orchestertradition, zweier Besuche Mozarts, Beethoven"scher und Mendelssohn"scher Familienbindungen an den Ort oder zweijähriger Direktion von Max Bruch ist Koblenz heute nicht eben der Nabel der Musikwelt. Was reizt Sie dennoch, hier zu arbeiten?

Während meiner Studienzeit in Freiburg bin ich oft mit dem Zug durchs Mittelrheintal gefahren, habe auch in Koblenz Station gemacht. Eine schöne Stadt in einer wunderbaren Umgebung. Und was sie an Musiktradition aufzählen, ist doch beeindruckend, weit mehr als manche Metropole aufweisen kann. 350 Jahre Orchestergeschichte sind ein wichtiger kultureller Wert. Neben den vielseitigen Aufgaben und Möglichkeiten, die die Stadt bietet, muss man auch die -Pfalz ist eine kulturell spannende Gegend, hinzu kommt die direkte Nachbarschaft großer Ballungsräume.

Im Oktober 2003 sind Sie bei einem Protestkonzert gegen das Kaputtsparen der Berliner Symphoniker aufgetreten. Dürfen wir also annehmen, dass Sie Verständnis haben für die hiesigen Proteste gegen die Sparmaßnahmen im Rahmen der rheinland-pfälzischen Orchesterreform?

Aber natürlich. In Berlin hat der Protest leider nichts genützt. In Rheinland-Pfalz hingegen konnte er verhindern, dass die Orchester fusioniert werden oder der Kob-lenzer Klangkörper auf etwa 50 Stimmen schrumpft.

Herr Raiskin, die Fachwelt feiert Sie als einen der bedeutendsten Bratschisten der Gegenwart. Was hat Sie bewogen, nun ans Dirigentenpult zu wechseln? Wann erwachte Ihr Interesse am Dirigieren? Und: Wird die Bratsche demnächst im Schrank verstauben?

Mein Interesse am Dirigieren ist nicht neu, schon als 15-Jähriger begann meine Ausbildung auch in diesem Fach. Und wer darin einmal aktiv war, kann kaum noch davon lassen. Aber: Ich glaube nicht an 20-jährige Dirigenten; zum guten Orchesterleiter braucht es eine gewisse Reife, ein Dirigent muss erwachsener Musiker und Mensch sein. Erfahrungen als Instrumentalist sind am Pult Gold wert. Wahrscheinlich wird es etwas weniger, aber ich werde weiter Bratsche spielen, Konzerte geben, zum Beispiel noch in diesem Jahr eine Uraufführung mit dem Orchester der Bonner Beethovenhalle.

Hoch gelobt wurde Ihre Pflege seltener und zeitgenössischer Bratschen-Literatur. Welche Schwerpunkte werden Sie in Ihrer sinfonischen Arbeit setzen? Mit welchen programmatischen Akzenten darf das Koblenzer Konzertpublikum rechnen?

Meine Intention ist eine Mischung aus seltener gespielten Werken und den unverzichtbaren Säulen des Repertoires. Ich möchte den Wünschen des Publikums nachkommen, es zugleich aber auch neugierig machen etwa auf die Musik unserer Zeit. Natürlich wird "rheinische Romantik" mit Werken von Schumann, Mendelssohn, Brahms oder Bruch eine wichtige Rolle spielen. Und schließlich: Ich bin von Herkunft Russe, also liegen mir auch Ausflüge ins russische Repertoire sehr am Herzen.

Die Ankündigung, Raiskin werde sich vorerst aufs Konzertschaffen konzentrieren und keine Oper am Stadttheater dirigieren, hat in Koblenz für Irritationen gesorgt. Sehen Sie da ein Problem?

Musikalische Kontakte hatte ich in Koblenz bislang nur mit dem Orchester. Die Opernfrage eingehend zur erörtern, gab es in der Kürze der Zeit noch gar keine Gelegenheit. Jetzt geht es zuerst einmal um das Problem, dass die Rheinische Philharmonie nicht zu lange "kopflos" bleiben darf. Im Konzertbereich bietet sich die Chance, ein neues Kapitel Orchestergeschichte zu schreiben - am Standort selbst sowie in der internationalen Szene. Was die künftige Zusammenarbeit mit dem Theater im Opernfach angeht, steht im Moment alles noch offen. Gemeinsam mit den Partnern werde ich die denkbaren Möglichkeiten in aller Ruhe prüfen.

Die Rheinische Philharmonie verstärkt in jüngerer Zeit spürbar ihre Angebote an Kinder und Jugendliche. Wie stehen Sie zu dieser Aufgabe?

Das ist ganz wichtig! Ich bin ja selbst Vater zweier Kinder, von denen das siebenjährige auch schon Konzerte besuchen kann. Ohne Jugendarbeit würden wir in 15 Jahren vor leeren Sälen stehen. Es hat sich auch schon viel getan: Kürzlich las ich, dass der Verkauf von Klassik-CDs wieder beständig wächst, vor allem an 20- bis 35-Jährige. Das sind erste Früchte verstärkter Jugendarbeit in jüngerer Vergangenheit durch fast alle Musikerkollegen weltweit und viele kulturelle Institutionen. Da müssen wir auch in Koblenz entschlossen weiterarbeiten - und der Chefdirigent natürlich vorneweg.

Mit 35 Jahren sind Sie ja noch ein junger Mann. Manchen Ihrer künftigen Koblenzer Orchesterkollegen trifft man privat schon mal beim Blues, Jazz oder in der Disco. Andere beim Joggen am Rhein, wieder andere abends in der Kneipe bei einem Glas Wein oder Bier. Führt auch Daniel Raiskin gelegentlich ein Leben neben der klassischen Musik?

Der Alltag als Solist und Dirigent gleichzeitig lässt nicht allzu viel freie Zeit übrig. Und davon gehört ein Teil selbstverständlich meiner Familie. Auch möchte ich die Verbindungen zu Verwandten und alten Freunden in Russland weiter pflegen - Wurzeln sind wichtig. Dennoch: Ein gutes Glas Wein am Abend, dafür ist Koblenz ja der passende Ort; und ein bisschen Joggen gelegentlich wäre gut. Im Übrigen dürfen Sie nicht vergessen, dass ich als Teil der Protestgeneration in der damaligen Sowjetunion aufgewachsen bin. Staatsferne Musik war unsere wichtigste Jugendsprache. Ich liebe noch immer gut gemachten Jazz, und Rockmusik ist mir nicht fremd - schließlich war ich als Jugendlicher mal Schlagzeuger in einer Rockband.

Bei den meisten Ihrer Vorgänger gesellten sich zur Arbeit mit dem Koblenzer Orchester noch andere Verpflichtungen. Welche werden das bei Ihnen sein? Und: Werden Sie sich in Koblenz niederlassen?

Ich muss einige Verpflichtungen erfüllen, die ich schon einging, bevor von Koblenz die Rede war; darunter die als erster Gastdirigent bei der Polnischen Staatsphilharmonie Breslau. Da gibt es übrigens eine schöne Querverbindung: Wie in Koblenz, so war der von mir sehr verehrte Max Bruch auch beim dortigen Orchester mehrere Jahre Chefdirigent. Doch möchte ich mich vor allem in der ersten Zeit stark auf die Arbeit in Koblenz konzentrieren. Gerade suche ich eine kleine Wohnung, möglichst nahe beim Görreshaus. Denn ich will in dieser Stadt tatsächlich anwesend sein, will am kulturellen und sozialen Leben der Stadt möglichst intensiv teilnehmen.

Das Gespräch führte Andreas Pecht.
 
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