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2005-07-15: Feature
25 Jahre Fabrik-Kultur in Koblenz
Die Kufa feiert Geburtstag: Pioniere von einst erinnern sich an die Gründerphase
- Anerkennung im ganzen Land erworben
 
ape. Koblenz im Herbst 1980: Drei junge Menschen gehen das größte Wagnis ihres bisherigen Lebens ein - sie heben die Kulturfabrik (Kufa) aus der Taufe. Koblenz im Herbst 2005: Die Kufa feiert 25. Geburtstag. Wider Erwarten hat sie nicht nur alle Krisen überstanden. Als erstes und ältestes sozio-kulturelles Zentrum in Rheinland-Pfalz grub die Kufa deutliche Spuren ins Kulturleben der Stadt und des Landes.
 
Schlagworte aus der aktuellen Gesellschaftsdiskussion: Pioniergeist, Gründermut, Eigeninitiative werden gebraucht. Vor 25 Jahren bewiesen zwei junge Frauen und ein junger Mann davon eine ganze Menge. Nur mochte der Volksmund damals so nicht bezeichnen, was Doris Schaefer, Barbara Pitjou und Arno Alderath in und mit der alten Mayer-Alberti"schen Couvert-Fabrik in Koblenz-Lützel anstellten. Nicht nur vom benachbarten Militär wurde der Aufbau eines "freien" alternativen Kulturzentrums mit dem eigentümlichen Namen "Kulturfabrik" eher misstrauisch beäugt.

Kultur und Fabrik - wie sollte das zusammengehen? "Uns war der Name anfangs auch nicht geheuer", erinnert sich Doris Schaefer. Auf das leer stehende alte Fabrikgebäude in Lützel waren sie bei der Suche nach Probe- und Auftrittsräumen gestoßen. "Sie", das waren die Tanzprofis Schaefer und Pitjou nebst dem Tanz-Eleven und unternehmerischen Tausendsassa Alderath.. Da war der Traum von der Profi-Compagnie, dem Leben aus dem Tanz. Da waren 1980 mit der Fabrik auch Räume für ein solches Vorhaben gefunden. Aber die waren viel zu groß und bar jeder Infrastruktur: 900 leere Quadratmeter je Stockwerk. Alderath hatte die Idee: "Wir machen ein komplettes Kulturzentrum draus, mit Kneipe und Bühnenprogramm, mit Workshops, Ateliers und Künstlerwohnungen."

Arbeit und Geld investiert

Was folgte, war Arbeit, Arbeit, Arbeit - auf eigene Verantwortung, unter Einsatz spärlicher Privatmittel, für Gotteslohn, mit ungewissem Ausgang. "Viel Enthusiasmus, noch mehr Naivität; wir überblickten nicht, was wir uns da aufgeladen hatten", meint Pitjou in der Rückschau. Und Schaefer ergänzt: "Wir hatten unsere Vision und sind einfach hineingestürzt in das Abenteuer." Was hieß: Die Fabrik brauchbar machen und betreiben, zugleich das Tanztheater Regenbogen aufbauen und irgendwie den Lebensunterhalt bestreiten.

Unterstützung der öffentlichen Hand war nicht in Sicht - anfangs wollten die Kufa-Gründer auch gar keine. Autonom sollte das ganzheitliche Lebens- und Arbeits-Projekt sein. Eine Utopie, die nach der Kufa-Eröffnung im November 1980 auf harte Proben gestellt wurde. Der (Überlebens-) Kampf um die Finanzen wurde der Kufa von der Geburt bis in die späten Jugendjahre zur zweiten Natur. Zwar entwickelte sich das Tanztheater Regenbogen unter Doris Schaefers Leitung prima, avancierte die Truppe mit zahllosen Gastspielen in der ganzen Republik während der 1980er-Jahre zu einem Kob-lenzer Exportschlager ersten Ranges. Aber das Geld blieb schrecklich knapp.

In der Kufa selbst gaben sich derweil die Größen der Kleinkunstszene und der freien Avantgarde die Klinke in die Hand. Hanns Dieter Hüsch, Fred Kellner und Co., Family of Percussion, Ensemble Modern, Django Edwards, Tanzformationen aus New York, Zürich, Tokio ... fanden dank Kufa erstmals den Weg in die rheinische Provinz. Doch zu verdienen war an dieser Pionierleistung kaum.

Dennoch: Das suspekte Schmuddelkind in Lützel erwies sich als Tor zur großen Kulturwelt jenseits der bürgerlichen Kunsttempel und des etablierten Mainstreams. Die Kufa erwies sich auch als Sprungbrett für neue Kulturgewächse, etwa die "Niegelungen", Andino oder Magic Orvellis. Von der Kulturfabrik nahmen Projekte ihren Ausgang, die für heutige Zeiten Maßstäbe setzten: Künstler in die Schulen, Kulturland-Landkultur, kulturell-kreative Erwachsenenbildung ...

Die Kufa als Keimzelle

Aus dem dort gegründeten "Kindercircus Bambini" ging die Jugendkunstwerkstatt Koblenz hervor. Mit dem von der Kufa initiierten Künstlerförderfestival "Katapult" wurde erstmals die Festung Ehrenbreitstein bespielt. Das Internationale Tanztheater-Festival in der Kufa stand Pate für die Reihe "Festivalsterne" im Kultursommer des Landes. Die Koblenzer Kulturfabrik wurde für Rheinland-Pfalz zur Keimzelle jener Strömung, die seither unter der Bezeichnung Soziokultur das Verständnis von der gesellschaftlichen Bedeutung der Kultur und das Kulturleben selbst nachhaltig verändert hat.

Derweil versuchten die Behörden das Objekt Kufa, das bald bis zu 30 000 Besucher pro Jahr zählte, in ihren Schubladen unterzubringen. Schmunzelnd erinnern sich die drei Gründer an die verzweifelte Beamtenfrage: "Was ist es denn nun, Theater, Schule, Gastwirtschaft, Atelier oder Wohngemeinschaft?" Die Kufa war alles in einem - deshalb einerseits für die Politik ein schwer zu fassendes Konstrukt, das andererseits mit seiner die örtliche Szenerie ungemein belebenden Wirkung enorme Anziehungskraft entfaltete. Trier warb zwei der nachher sieben Gesellschafter der Kufa ab, auf dass sie in der Römerstadt das Kulturzentrum Tuchfabrik (Tufa) ins Werk setzen. Einerseits stellte die Kufa eine bald nicht mehr wegzudenkende Bereicherung des Kulturlebens in Stadt und Region dar. Andererseits lebten und arbeiteten die Betreiber ständig unter der Peitsche der Selbstausbeutung wie unter dem Damoklesschwert des persönlichen und institutionellen Ruins.

Der Autonomie-Gedanke des Beginns machte bei Gründern und hinzukommenden Mitstreitern - darunter Stephan Bock, nachher treibende Kraft bei der landesweiten Verankerung des Soziokultur-Ansatzes - dem Bewusstsein Platz, dass die Kufa öffentliche Kulturaufgaben wahrnimmt und von daher Anspruch auf öffentliche Subventionen hat.

Die grundsätzliche Anerkennung dieses Anspruches durch Kommune und Land, erfolgte, von heute aus betrachtet, erstaunlich schnell. Schon im dritten Kufa-Jahr flossen erste Gelder, wenn auch in marginalem Umfang. Die steigerten sich bis 1992 auf 162 000 D-Mark von der Stadt, 90 000 vom Land, plus etliche zehntausend D-Mark für Sonderprojekte. Dennoch blieben die Beziehungen zwischen "Alternativen" und "Mächtigen" stets gespannt. Was Letztere für großzügige Förderung hielten, erschien Ersteren als mühsam erstrittene, widerwillig gezahlte und viel zu geringe Zuwendung. Eine Krise jagte die andere. Der 1984 erstmals ausgestoßene Kufa-Ruf "Hilfe, wir sind pleite!" sollte sich noch mehrfach wiederholen.

1989 löste sich das Tanztheater Regenbogen als feste Compagnie auf. Grund: Auszehrung, Erschöpfung, herrührend vom arbeitsreichen Leben am Rande des Existenzminimums. Doris Schaefer führte Regenbogen dann in Form von Einzelprojekten noch bis ins Jahr 2000 fort. 1995/96 lief indes in der Kufa die Zeit der Gründergeneration ab: Zuschusskürzung, Sanierungsbedarf, zugespitzte Finanzkrise, interne Meinungsverschiedenheiten ... 15 Jahre nach Gründung war die Kufa zwar eine anerkannte Kulturinstitution, stand aber in einer veränderten Welt dennoch vor dem Aus.

Der jüngste Neuanfang

Um den totalen Zusammenbruch zu verhindern, übergaben die älter gewordenen Alternativen schließlich ihr Projekt der jüngsten Generation im Haus: dem Jugendtheater, respektive dessen altvorderen Förderern einer von Dieter Servatius begründeten Trägergemeinschaft. Frisches Geld, frisches Blut, neuer Mut und dazu eine institutionalisierte Verankerung in der Mitte des örtlichen Bürgertums sind das neue Fundament, auf dem die Kufa seither steht.

Der Geist ist naturgemäß ein anderer geworden. Geblieben sind dennoch, so zumindest sieht es Dieter Servatius, auch unter der jetzigen Ägide drei zentrale Säulen: Kleinkunst von Niveau, soziokulturelles Engagement, und wie die Kufa einst Heimstatt für das Tanztheater Regenbogen war, ist sie nun Heimstatt des Koblenzer Jugendtheaters.

Wenn am 9. September die Kufa 25. Geburtstag feiert, wird ein "Baustellen-Büfett" an die Anfänge erinnern, wird eine Foto-Ausstellung das Regenbogen-Wirken vergegenwärtigen, werden Andino, der "Kindercircus Bambini", das Jugendtheater und Akteure aus Pietjous heutiger Tanzschule Generationenbrücken über die Geschichte schlagen.

Anbei dürfen Veteranen und Jugendliche, dürfen Alternative, Bürger und Politiker für einen Augenblick der Frage nachhängen: Wo stünde die Koblenzer Kultur heute, hätten sich vor 25 Jahren nicht zwei junge Frauen und ein junger Mann in ein scheinbar völlig aussichtloses Abenteuer gestürzt?
 
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