Thema Ökonomie / Ökologie
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2005-06-30:  Analyse
Neues Utopia der Energiegewinnung
Fusionsreaktor "Iter" weckt große Hoffnungen - Viele Unwägbarkeiten
 
ape. Eine Koalition aus USA, Russland, China, Japan, Südkorea und Europäischer Union will eines der schwerwiegendsten Probleme künftiger Industrieentwicklung anpacken: die Energieversorgung. Soeben einigte man sich auf die Einrichtung des gemeinsamen Kernfusionsreaktors "Iter". Dies wird das wohl teuerste Einzelprojekt internationaler Forschung, das es je gab. Sein Ziel ist kein geringeres, als auf Erden die Sonne nachzubauen.
 
Internationaler Thermonuklearer Experimentalreaktor (Iter) wird genannt, worauf sich jetzt hochfahrende Hoffnungen richten für die Zeit nach dem Ende der Kohle- und Öl-Verschwendung. Mit der gewaltigen Summe von zehn Milliarden Euro will ein Konsortium der wichtigsten Industriemächte in Südfrankreich einen Forschungsreaktor für Kernfusion bauen und während 25-jährigen Probebetriebes die Fusionstechnik handhabbar machen.

Zwar wurden Entsorgungs- und Rückbaukosten mitveranschlagt, doch muss erfahrungsgemäß bei komplexen Großprojekten mit beträchtlichen Kostenzuwächsen während Bau- und Betriebszeit gerechnet werden. Im Falle Iter kommt hinzu, dass bislang niemand weiß, welche Sonderentwicklungen zwischenzeitlich notwendig werden, oder welche Reststoffe bei entfaltetem Fusionsbetrieb überhaupt entstehen und also zu entsorgen wären.

Saubere Energiequelle?

Würde die Fusionstechnik allerdings halten, was ihre Befürworter sich davon versprechen, man wäre geneigt, Kostenbedenken für kleinlich zu halten. Da geht die euphorische Rede von einer unerschöpflichen und sauberen Energiequelle, gegen die sich die auf Kernspaltung beruhenden Atomkraftwerke wie dreckige, gefährliche und uneffektive Relikte ausnehmen. Der Brennstoff für die Fusionstechnik könne dem Meerwasser entnommen werden. Ein Gramm davon reiche hin zur Erzeugung einer Energiemenge, für die heute 11 Tonnen Kohle verbrannt werden müssen.

Iter soll die Kerne der Wasserstoffvarianten Deuterium und Tritium miteinander verschmelzen. Daraus entsteht Helium und eine Flut heißer Neutronen, aus denen dann via Wärmetauscher die Nutzenergie gezogen wird. Theoretisch! Pure Theorie ist bis dato auch, dass bei diesem Prozess radioaktiver Abfall nur in minimalen Mengen und von "sehr kurzen" (einigen Jahrzehnten) Abklingzeiten entstünde. Überhaupt stecken die meisten Aspekte praktikabler Fusionstechnik im Hypothese-, allenfalls im frühen Labor-Stadium.

Wieder einmal ist die Natur menschlichem Erfindergeist um Lichtjahre voraus. Sie verfügt seit Urzeiten über die raffiniertesten Fusionsreaktoren - unsere Sonne ist einer davon. Und deren Funktionsprinzip soll mit Iter nun nachgeahmt werden. Die Krux ist, dass das große Gestirn problemlos jene Betriebstemperatur von 100 Millionen Hitzegraden erzeugt und aushält, ohne die eine Kernschmelze nicht funktioniert.

Iridische Wissenschaftler stehen deshalb vor zwei Grundschwierigkeiten. Erstens ist derzeit auf Erden kein Material verfügbar, das 100 Millionen Grad Celsius aushält. In welchem Topf also will man die Fusionssuppe kochen? Zweitens müssen, bevor der Fusionsprozess auch nur ein einziges Watt Strom liefert, gewaltige Energiemengen hineingesteckt werden. Wird Iter also jemals mehr Strom liefern als der Reaktor verbraucht?

Das Materialproblem scheint in groben Zügen gelöst: Es wird gar kein "Topf" verwendet, sondern die "Suppe" in einem Kreis aus extrem starken Magneten als Plasmastrom in freier Schwebe gehalten. Dass das prinzipiell geht, wurde vor sieben Jahren im kleinen europäischen Versuchsreaktor JET in England demonstriert. Ganze zwei Sekunden konnte dort eine Kernfusion bisher maximal aufrecht erhalten werden. Der Energieverbrauch lag dabei freilich um ein gutes Drittel höher als die Ausbeute.

Physiker bezweifeln Theorie

Wie man 100 Millionen Grad im Plasma konstant halten kann, darüber soll es dem Vernehmen nach selbst theoretisch erst vage Denkansätze geben. Die Iter-Planer ficht das nicht an, sie schwärmen schon heute von einer Ausbeute, die das Zehnfache der investierten Betriebsenergie betragen wird. Einige Physiker bezweifeln allerdings, dass es jemals gelingt, eine konstante Fusion zu erzeugen. Beim kleinsten Wackler erlischt das Feuer einfach - was unter dem Gesichtspunkt Sicherheit nun wieder ein erheblicher Vorteil gegenüber dem Kettenreaktionsprinzip der Kernspaltung wäre.

Bei aller Euphorie für das Fusions-Utopia: 50 Jahre etwa soll es dauern, bis - vielleicht - die Entwicklung der Fusionstechnik allgemein nutzbare Ergebnisse zeitigt. Wie aber verfahren wir bis dahin mit den aktuell anstehenden Energieproblemen? Die könnten sich durch Iter selbst gar beträchtlich verschärfen: Denn das Fusions-Großprojekt wird zumindest teilweise aus denselben Töpfen finanziert werden wie die Forschungen und Entwicklungen im Bereich Energiegewinnung aus Wind, Wasser, Biomasse und Sonnenlicht. Und wer hat dabei wohl das Nachsehen?
 
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