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2005-06-21: Essay
Einstiger Superstar der Philosophie
Zum 100. Geburtstag des französischen Existenzialisten Jean-Paul Sartre
 
ape. Der Franzose Jean-Paul Sartre war einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts. Er galt als Star unter den Philosophen, sein Existenzialismus wurde in den 50ern eine Mode- und Massenbewegung. Heute jährt sich der Geburtstag des einstigen Herrschers im Reich gesellschaftskritischer Theorie zum 100. Mal.
 
Französischer Lebensstil weist Eigenarten auf, die diesseits des Rheins manchmal Befremden hervorrufen. Etwa, dass für die Nachbarn die Qualität von Essen und Trinken vor Sparsamkeit geht. Oder, dass man in einem Generalstreik nicht den Untergang des Abendlandes sieht, sondern eher eine Art Familienkrach, der alle paar Jahre wieder die Möbel zurechtrückt. Am heutigen 21. Juni, dem 100. Geburtstag Jean-Paul Sartres, darf auch an den Ausspruch von Charles de Gaulle erinnert werden: "Man verhaftet keinen Voltaire."

Mit diesem Satz untersagte 1968 de Gaulle den Behörden, Sartre wegen illegaler Publikationen den Prozess zu machen. Der durch und durch konservative Staatspräsident der Republik Frankreich erwies dem philosophischen und dichterischen Geist die Ehre - obwohl der 62-jährige Sartre da gerade auf den Straßen des von Unruhen erschütterten Paris als intellektueller Übervater der 68er-Mairevolte gefeiert wurde.

Jean-Paul Sartres ungeheure Popularität war ein Phänomen, von dem man sich heute keine Vorstellung mehr machen kann. Der Philosoph war ein Superstar, obwohl seine Hauptwerke "Das Sein und das Nichts" (1943) sowie "Kritik der dialektischen Vernunft" (1956) wegen ihrer Komplexität, mehr noch wegen ihrer sprachlichen Eigensinnigkeit schwer verdauliche Brocken sind. Zwar hatte Sartre in den 70ern rasch an Bedeutung verloren, sich in Deutschland durch einen Gefängnis-Besuch beim RAF-Mitbegründer Andreas Baader 1974 den Unmut auch langjähriger Freunde zugezogen. Doch zu seiner Beerdigung im April 1980 in Paris strömten mehr als 50 000 Menschen zusammen.

Die Grundthese von Sartres "französischem Existenzialismus" lautet: "Die Existenz geht der Essenz voraus." Was heißen soll, dass es am Anfang jeder menschlichen Existenz nur das bloße Dasein gibt, das Individuum weder gut noch böse ist. Erst im realen Handeln und in den Entscheidungen, die es diesbezüglich trifft, definiert sich das einzelne Ich. Dabei ist jeder auf sich selbst angewiesen, damit voll verantwortlich fürs eigene Sein und Tun. Nur jedes Individuum selbst kann seinem Leben einen Sinn verleihen.

Sartres Philosophie ist ganz aufs Diesseits bezogen, ist auch durch und durch atheistisch. Was dazu führte, dass die katholische Kirche seine Schriften 1948 auf den Verbotsindex setzte. Aber es ist keine egozentrische Philosophie. Der ältere Sartre hebt verstärkt auf den sozialen Charakter des Menschen und dessen soziale Verantwortlichkeit ab. Der Franzose versuchte Existenzialismus und Marxismus miteinander zu verbinden. Gerade auf diese Grundlage verurteilte er scharf das sowjetische Vorgehen 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei. Ebenso eindeutig war seine Opposition gegen das amerikanische Engagement in Vietnam und das französische in Algerien.
Die bürgerliche Gesellschaft hielt Sartre für eine Gesellschaft der "Unwahrhaftigkeit". Ihr gegenüber erschien dem ehemaligen Resistance-Kämpfer Rebellion als die einzig angemessene Haltung des sich in Freiheit definierenden Individuums. Folgerichtig lehnte der Autor wichtiger Romane ("Der Ekel") und vieler Theaterstücke ("Die Fliegen") 1964 die Annahme des Literaturnobelpreises ab. Mit Schriftstellerin Simone de Beauvoir begründete er eine für junge Leute jener Zeit faszinierende Form von Lebensgefährtenschaft: Man traf sich täglich zu Arbeit und Diskussion, lebte aber in getrennten Wohnungen und durfte Affären mit Dritten haben.

Der "französische Existenzialismus" führte nach dem Zweiten Weltkrieg gar zu einem eigenen Lebensstil, der von Paris aus die urbanen Szenen der westlichen Welt eroberte. Dessen äußere Zeichen waren schwarzer Rollkragenpulli und bei den Frauen Pferdeschwanzfrisur; dazu schwarze Zigaretten, abends Cooljazz in Kellern und bei Tage intellektuelle Dispute im Café.
Von jener Mode sind einige subkulturelle Reste geblieben. Sartres Philosophie aber wurde, obwohl sich kaum jemand dessen bewusst ist, vor allem ins ökologisch, alternativ oder globalisierungskritisch angehauchte Denken der westlichen Mittelklassen adaptiert: Von deinen persönlichen Entscheidungen etwa beim Einkaufen, Konsumieren, Autofahren ... hängt das Wohl und Wehe der Welt ab. Auch das ist Sartre.
 
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