Kritiken Theater
eMail an pecht.info • eMail to pecht.info • contact pecht.infoeMail
zum Artikel
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2005-06-07: Theater
Shakespeare-Ton nebst Kantinen-Prosa
Frech, modern und doch ungemein poetisch
 
ape. Wiesbaden. Ein Tohuwabohu als Prolog zu Shakespeares Komödie "Was ihr wollt": Das Ensemble tollt herum, aus dem Off dröhnt Frauengesang. Dann regnet es, und die gertenschlanke, die wunderhübsche, die trotzig-rotzige Alexandra Finder haut´s glitschend von den Stöckelschuhen. Mini, Bluse und Frisur gehen triefend hinüber - aus ihrer Welt gefallen ist Viola, gestrandet in Illyrien. Und der Narr im Wurstkostüm - Hanns Jörg Krumpholz als buchstäblicher Hanswurst - schlagert dazu "Ich will doch nur spielen". Klamauk? Mitnichten.
 
Das Staatstheater Wiesbaden hat zwischen die eben abgeschlossenen, heuer sehr ansehnlichen Maifestspiele und die bald beginnende Sommerpause noch diese Premiere geschoben. Was ein gefälliger Ausklang der Schauspielsaison hätte werden können, ist nun überraschend einer ihrer Höhepunkte geworden. Die Inszenierung von Tilman Gersch lohnt auch eine Anfahrt von weit her. Denn das klassische Verwirrspiel um Libido, die hitzig Geschlechtergrenzen nach allen Richtungen überspringt, erfährt hier eine ebenso humorige wie hintersinnige Modernisierung, die von anderen Modernisierungen vor allem eines unterscheidet: ihre freche und zugleich doch so poetische Verspieltheit.

Viola dient verkleidet als Jüngling Cesario dem Herzog Orsino. Der schickt sie als Liebeswerber zur Gräfin Olivia. Orsino verzehrt sich, vergeblich, nach Olivia; die vergafft sich in den vermeintlichen Cesario, dessen tatsächliche Fraulichkeit für Orsino entflammt ist. Obendrein muss Orsino sich eingestehen, dass der Jüngling ihn irgendwie reizt, und auch Cesa-rio/Viola muss feststellen, dass das Locken Olivias nicht wirkungslos an ihrem in Mannskleidern steckenden Frauenleib abprallt. So die Kernkonstellation, von Shakespeare noch angereichert durch eine zweite Spielebene, auf der allerlei komisches Volk Liederliches anstellt. Wozu der überaus musiktalentierte Narr in Wiesbaden etwa "Über sieben Brücken musst du gehen" oder "La Paloma blanca" anstimmt.

Es ist vor allem der Ton, der diese Einrichtung zu einer besonderen Musik macht. Thomas Klenk legt seinem Orsino scheinbar ernste Liebesdramatik auf die Zunge, Stefanie Hellmann ihrer Olivia bis zur Hysterie vibrierendes Begehren obendrein in den bisweilen überzogen sich wie im Africola-Rausch windenden Körper. Währenddessen fällt Viola/Cesario sprachlich, mimisch, leiblich zwischen alle Stühle von Manns- und Weibslust: Jungmädchenhaft staunt sie darüber, was die Welt ihr da an Verworrenheit bietet und in ihr entfacht.

Die Übertragung von Thomas Brasch transportiert den Text bereits in die Gegenwart hinein. Gersch setzt noch einen drauf, indem er das durch die Bank punktgenau launig aufspielende Ensemble immer wieder aus der Schauspielerintonation herausfallen und momenthaft sprechen und agieren lässt, als ginge man eben zum Mittagessen. Das lässt den Abend auf überraschende wie sinnige und sinnliche Weise zwischen hohem Shakespeare-Ton und Kantinenprosa changieren. Und siehe, "Was ihr wollt" entfaltet noch mehr Reize.
 
was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an pecht.info • eMail to pecht.info • contact pecht.infoeMail
zum Artikel
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken