Kritiken Theater
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2005-02-21: Theater
Bühnenkunst contra Possenspiel
Musikalisches Treffen von Händel und Webber
 
ape. Koblenz. In seinem 14. Jahr betrat das Koblenzer Jugendtheater einmal mehr Neuland: Mit "Die Neuberin" brachte es jetzt ein eigenes Musiktheaterstück über eine fast vergessene historische Persönlichkeit zur Premiere. Bühnenkunst trat in der Kulturfabrik gegen Possenreißerei an - beide verschmolzen unter dem Beifall des Publikums zu einem kurzweiligen Abend mit ordentlich den Geist erhellendem Potenzial.
 
Da jauchzt die barocke Zuschauerschar auf dem Marktplatz. Es knistern aufgeregt die Reifröcke der Dämchen (Kostüme: Marion Durben-Schneider). Während der Stutzer sein Grienen hinterm Schnupftuch verbirgt, lacht der Schankwirt sich grölend krumm. Aller Begeisterung gilt dem zotigen Spiel des Hanswurst Müller, der auf der Brettlbühne zwei frivol ausstaffierten und aufspielenden Assistentinnen (Maja Schmidt, Raoni Issac) Äpfel aus Dekolleté und Hinterteil quetscht oder einen Dümmling mit Tritten traktiert wie sonst der böse Bauer seinen armen Esel.

Man schreibt das Jahr 1727, und was auf der Bühne diesseits des Leipziger Marktes geboten wird, ist Ausdruck für den erbärmlichen Zustand des seinerzeitigen deutschen Theaters. Jenseits des Platzes steht ein zweites Brettl, auf dem nun ein ganz neues, ein der hohen Kunst verpflichtetes Theater erste Gehversuche macht: Die Schauspieltruppe der Frederike Caroline Neuber (1697-1760) will sich und dem deutschen Publikum ein nach französischem Vorbild gearbeitetes Trauerspiel des Theater-Erneuerers Johann Christoph Gottsched (1700-1766) erschließen. Statt frontaler Guckkastenbühne beherrschen also zwei gegenüberliegende, durch einen "Platz" verbundene Brettln die Mitte des Kufa-Saales. Diese originelle - die Konkurrenz zwischen Neuberscher Kunst und Müllerscher Hanswurstiade famos symbolisierende und darstellbar machende - Bühnenkonstellation (Eckes, Knopp) ist auf vier Seiten eng vom Publikum umgeben. Das wird so Teil der barocken Zuseher, erlebt hautnah, wie eine treffend selbstbewusst agierende Nadine Müller als Neuberin den Anfeindungen durch ihren Proll-Kontrahenten widersteht. Dieser der Commedia dell"Arte entliehene Harlekin erfährt durch den schauspielerisch bemerkenswert reifen Oliver Grabus eine Kennzeichnung als gewissenloser Profiteur dumpfen Entertainments.

Die Inszenierung, die Theaterprofi Madeleine Schröder mit 24 Bühnenamateuren und einer halben Hundertschaft Back-Personal auf die Beine gestellt hat, polarisiert eindeutig, zeichnet den Hanswurst Müller als Bösewicht. Der schreckt weder vor miesen Intrigen noch vor Verbrechen zurück, um sein einträgliches Monopol auf Verblödungstheater zu verteidigen.

Momenthaft erfährt der ansonsten zwischen Komik und Poetik pendelnde Abend da auch beklemmende Verdichtung: Die von Sarah Eppelsheimer hinreißend als Unschuldslämmchen geformte Katharina wird vom Hanswurst vergewaltigt, die Schuld wird aber dem Schauspieler Karl in die Schuhe geschoben. Warum? Karl will sich nicht länger bei den Hanswurstschen als Esel malträtieren lassen, sondern bei der Neuberin als Tragöde "richtiges Theater" spielen; was Michael Müller auch schon recht ordentlich tut.

Wie stets beim Jugendtheater, so ist auch "Die Neuberin" gespickt mit unzähligen kleinen und kleinsten Talentproben. Diese in den Ritzen des großen Spiels zu schauen, ist eine ganz eigene Lust; sie alle zu nennen, unmöglich.

Weil das Stück als "musikalisches Schauspiel" bezeichnet wird, eine Anmerkung zu den von Ralf Ambros komponierten Songs und Zwischenspielen: Seiner Trio-Kombo hat er eine klassisch-moderne Mischung geschrieben. "Händel meets Webber", könnte man titulieren, was sich da aus Kontrapunkten oder fugierten Choransätzen heraus zur soften Musicaltönerei aufschwingt. Das ist gewiss Geschmackssache, aber ebenso gewiss der Atmosphäre des Stückes dienlich - dieser von Frauke Fritscher klug getexteten Erinnerung an ein so wichtiges Kapitel deutscher Theatergeschichte. Dass es im Zeitalter von Big-Brother-Müll wieder aufgeschlagen wird, ist dem Jugendtheater als besonderes Verdienst anzurechnen.
 
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