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2005-02-14:
Krieg im Konsumtempel
Annegret Ritzel inszenierte einen modernen und riskanten "Kaufmann"
 
ape. Koblenz. Mit Shakespeares "Kaufmann von Venedig" kam jetzt eine der bittersten, vielschichtigsten und strittigsten Komödien des Repertoires am Stadttheater Koblenz auf die Bühne. Intendantin Annegret Ritzel inszenierte einen riskanten Abend, der sämtliche Kulturen unserer Zeit als vom Kapitalismus durchseucht vorführt - bei gleichzeitiger Renaissance von religiösem Fanatismus.
 
In Kaftan, Nadelstreifen, Yuppieknitter gekleidete Vertreter des neuzeitlichen Globaldorfes kommen in einem der Handels- und Konsumzentren der Welt zusammen. Man sitzt auf Designerstühlen, saust auf schicken, kleinen Tretrollern über den Rialto. Shakespeares Venedig, in dem einst starres Feudalsystem und früherer Handelskapitalismus miteinander rangen, wurde in Koblenz ins 21. Jahrhundert versetzt. Und wieder trifft neuer Mainstream auf Althergebrachtes, globale Geschäftskultur auf scheinbar religiös motivierte Feindschaften.

Doch ums Geld geht"s - mögen Venedigs junge Risikokapitalisten noch so sehr auf den "jüdischen Zinswucherer" Shylock schimpfen, mag der seinen Hass noch so heftig gegen diese Christenmehrheit schleudern. Annegret Ritzel treibt ein riskantes Spiel: Olaf Schaeffer variiert glänzend das Spektrum zwischen flammender Hassrede und giftigem Zynismus; er darf hier den Shylock als Bösewicht ausspielen, der kaltschnäuzig die Schwächen des Marktkonkurrenten Antonio ausnutzt, um damit zugleich seinen brennenden Rachedurst zu befriedigen. Das ist: Marktbereinigung, die in einem zuvor erlittene Schmach mit aufwäscht.

Das Programmheft ruft auf, das Stück zu lesen, wie es von Shakespeare gemeint war. Will sagen: Die Bezeichnung Shylocks als Jude sei kein Antisemitismus, sondern damaliges Synonym für das Außenseitertum der Figur. Ritzel unterstreicht das, indem sie dem Antonio-Freund Solanio eine Kippa aufsetzt und ihn ebenso wie den Shylock-Kompagnon Tubal Abscheu vor dem Verhalten ihres Glaubensbruders spielen lässt. Damit pocht Shylock nicht als Archetyp seines "Stammes" auf ein Pfund Fleisch aus der Brust des Schuldners Antonio, sondern schlägt als besonders bösartiger Vertreter einer historisch abgehalfterten Profiteurskaste um sich.

Auch die Liebe kann Geschäft sein. Die beinahe mit einem "legitimen" Mord endende Story beginnt so: Bassanio braucht Geld, um die schöne Portia zu umwerben; Antonio (reifer Melancholiker: Hartmut Volle) will es ihm geben, muss es sich aber bis zum Abschluss eigener Geschäfte beim Juden Shylock leihen. Derweil sich tout Venezia bei Modeschau und Shopping vergnügt, lässt Portia den Aufmarsch reicher Hochzeitsbewerber - in Form ausufernder Trommel-, Kostüm- und Typenfolklore - über sich ergehen. Das erzwingt des Papas Testament .

Madeleine Niesches bis ins Kleinste treffend inhaltstragende Darstellung macht ebenfalls Zeitenumbruch deutlich: Widerlich sind ihr väterlicher Zwang und Anmaßung der Mannsbilder, frei wählen und lieben will sie, stellt sich schließlich beglückt als emanzipierte Gefährtin an die Seite Bassanios. Dem gibt Sebastian Hufschmied viel Wärme mit, die nachher in tränenerfüllten, dramatischen Ausdruck von Schuldigsein umschlägt.

Jazz durchklingt cool den urbanen Konsumtempel. Dann entfaltet Bachs "Air" Innigkeit, wo Liebe mal wirkliche Herzenssache wird. Und an der Seite der ansonsten von einem neutral blauen Rundhorizont begrenzten Einheitsbühne (Siegfried E. Mayer, Matthias Werner) zeigt ein vergrößerter Laptop eine endlos wiederholte Filmsequenz: Sprengung der Buddha-Statuen in Afghanistan. Moderne und Barbarei sind zwei Seiten der gleichen Medaille - so war es in Shakespeares Venedig, so ist es noch immer. Ein bedenkenswerter, insgesamt formidabel gespielter Abend, der nur eine richtige Schwäche hat: selbstverliebtes Übermaß an Kostümerie. 
 
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