Kritiken Theater
eMail an pecht.info • eMail to pecht.info • contact pecht.infoeMail
zum Artikel
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2005-02-01:
Kampf im Kopf und in den Herzen
Deutsche Erstaufführung - Beklemmende Trostlosigkeit wiederkehrender Barbarei
 
ape. Bonn. Vom Überlebenskampf in Kriegszeiten und der Rückkehr in einen versehrten Alltag erzählt Lars Noréns Drama "Krieg", das jetzt in Bonn zur deutschsprachigen Erstaufführung kam. Ein Stück deutscher Nachkriegsliteratur, könnte man meinen. Wäre die Geschichte nicht längst von der Gegenwart eingeholt.
 
"Soll ich mich weiter morden lassen und weiter morden? Wohin soll ich denn? Wovon soll ich leben? Mit wem? Für was?" Fragen, von der Bühne geschrien am Ende eines Theaterstückes über das Leben nach dem Ende des Krieges. Sie stammen aus Wolfgang Borcherts 1947 uraufgeführtem Stück "Draußen vor der Tür", würden aber ebenso an den Schluss von Lars Noréns Stück "Krieg" passen, das jetzt am Theater Bonn zur Deutschen Erstaufführung kam.

Das Ende von Borcherts Weltkrieg liegt 60 Jahre zurück. Noréns Krieg tobte bis eben auf dem Balkan, zieht einfach weiter in den Irak, den Iran, nach Palästina, Asien, Afrika, Südamerika. Krieg ist allemal ein tief greifender Zivilisationsbruch. Noréns "Krieg" konfrontiert mit den Auswirkungen eines solchen Bruches auf fünf Menschen, auf eine Familie. Das Stück und die in ihrer bedrückenden Trostlosigkeit, ihrer ganzen Hässlichkeit so treffende Inszenierung von Generalintendant Klaus Weise benutzen das Theater als Ort der Desillusionierung.

Das Zuhause der Fünf ist die Hölle auf einer abgesprengten Brückenauffahrt aus Beton, zerfetztem Asphalt, verbogenem Stahl (Bühne: Manfred Blößer). Dorthin kehrt Vater Mehmet nach dem Krieg zurück. York Dippe lässt den vom Feind Geblendeten aus ewiger Finsternis heraus seine Kinder ertasten, die 15-jährige Beenina und die 12-jährige Semira. Nach dem Furchtbaren, das er zwei Jahre lang als Soldat ("Kriegsheld") mitgemacht hat, will er, "was mir gehört", trotz seiner Schwäche herrisch fordernd wieder in Besitz nehmen: Heim, Kinder und die Frau. Doch von dem, was vor dem Krieg war, ist nach ihm nichts geblieben.

Von einigen Schreien der Wut, des Hasses oder bisweilen der Verzweiflung abgesehen, ist die Sprache während der 92-minütigen, zu knappen und dichten Szenen geschnittenen Aufführung kurz, fast gebellt oder wie ausgespuckt. Kälte herrscht in den Herzen und Leibern auch der Daheimgebliebenen. Der Krieg hat ihnen mit Todesangst, Hunger, Obdachlosigkeit, Vergewaltigung das Menschliche ausgetrieben, hat sie aufs Kreatürliche reduziert. Selbst die kleinste Geste des Nähertretens durchsetzt Gewalttätigkeit.

Die 12-Jährige will Kind sein, mit Papa schmusen und möglichst schnell weg - nach Disneyland. Doch "es gibt keine Kinder mehr", weshalb diese Lolita in Kampfstiefeln vom Racheakt als Selbstmordattentäterin fantasiert oder vom Tritt in die Fußstapfen ihrer älteren Schwester: Die verdient auf dem Strich Geld, um baldigst aus dieser Hölle abzuhauen. Maria Vogt und Xenia Snagowski spielen das Kind und die Jugendliche auf erschreckend realistische Art: von den Verhältnissen verrohte Wesen - Kindersoldaten im Überlebenskampf, so erbarmungslos wie erbarmungswürdig.

Vom eigenen Leid und vom Mitansehen ihrer Kinder Leid ausgebrannt, lässt die Mutter (Susanne Bredehöft, groß in ihrer unendlichen Müdigkeit) die Rückkunft des totgeglaubten Gatten über sich ergehen. Und durch die Szene geistert für Mehmet unsichtbar sein Bruder Ivan (Andreas Maier), der Mutter einziger winziger Trost in entsetzlicher Zeit. Sie will weggehen mit Ivan; der mit ihr nur ohne die Kinder; Semira will beim Vater bleiben; Beenina sich Ivan hingeben, wenn er sie statt der Mutter mitnimmt...

Kein Glück mehr möglich, nirgends. Das Rudel zerfleischt sich im Kampf ums Weiterleben. Krieg - jenseits der Heldensagen, Ansprachen, Fernsehbilder: Das Theater entlarvt ihn als ewigen Geburtshelfer immer wiederkehrender Barbarei auch in unschuldigen Köpfen und Herzen.
 
was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an pecht.info • eMail to pecht.info • contact pecht.infoeMail
zum Artikel
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken