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2004-12-20 Tanztheater:
Deutsches Frauenschicksal

Uraufführung: Langer Beifall für Johann Kresniks Tanztheater "Hannelore Kohl" in der Bonner Oper

 
ape. Bonn. Die neue Produktion von Johann Kresnik für das Theater Bonn wurde nicht nur von der Tanztheaterszene mit Spannung erwartet. Das "Hannelore Kohl" betitelte Stück sicherte dem Brühnenprovokateur schon vor der Premiere am Wochenende Aufmerksamkeit.
 
Blondgewellte Perücke, beiger Hosenanzug, strenges Lächeln: Hannelore Kohl, die Frau an der Seite "des Dicken", des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten, des "Kanzlers der Einheit" kämpft mit unzähligen Milchbechern. Trinken, würgen, sich winden. Trinken, das Würgen unterdrücken, Haltung bewahren. Die Frau auf der Bühne der Bonner Oper ist eine Zerrissene. Geordnete Bürgerlichkeit zeigt sie her, in ihrem Innern indes schlagen Ängste, Schmerzen und Träume aufeinander ein.

Choreograf Johann Kresnik gießt das Innenleben der Hannelore Kohl in Tanzmotive, die biografische Fakten zwar nach Gusto, aber doch sensibel sinnfällig interpretieren. Da ist keine Verhöhnung, eher Mitleid: 22 Szenen verdichten sich zur Tragödie eines deutschen Frauenschicksals - in seinen Grundzügen typisch für Millionen.

Die einzig lächerliche Figur im Spiel ist der Mann, Helmut Kohl. Von mehreren Tänzern als Aktenwälzer, Karrierist, eine nackte Sekretärin umturtelnde Figur dargestellt, von Hans-Jürgen Moll, als zur Macht gelangter feister Spießer mit Narrenkappe vorgeführt. Ihm gibt Kresnik kein Pardon: Zylinderträger stempeln Helmut DM-Zeichen auf den nackten Leib, die Hannelore verzweifelt wegzuwischen sich müht: vergeblicher Versuch, die Ehre dessen zu retten, den sie einst als Schutz und Fels, Vaterersatz und Lebensinhalt erwählte.

Kresniks Szenen fallen mehrschichtig und bisweilen drastisch aus. Als einziges Kind von den Eltern vergöttert, zugleich mit "guter Milch" genudelt, reißt Klein-Hannelore (Linda Ryser) dem Vater buchstäblich die biedere Haut vom Leib, legt das Hakenkreuz darunter frei. Nachher näht Mutter die Hitlerfahne zum Petticoat um, Töchterchen swingt in die Republik hinein. Doch der Befreiungstanz mutiert zum Gleichschritt; "zwei kleine Italiener" träumen von Napoli, und die deutschen Frauen werden beim Zwiebelnschneiden den Mief blonder Perücken nicht mehr los.

Kresnik lässt Hannelore träumen, von Lebendigkeit und Lust. Sarka Vrastakova befreit ihre hüftlanges Schwarzhaar von der Perückenenge, kämpft ihre Sehnsüchte mit einem Stuhl aus, entledigt sich dann jedoch der Lockungen. Selbstbestimmung ist ihr suspekt, immer wieder landet sie bei Helmut, damit in Entsagung und Selbstaufgabe. Bravos für Simona Furlani als Getreue, deren Selbstentleibung sich vor schmerzend strahlenden Lichtwänden auf schmerzend klirrenden Glasscherben vollendet. Langer Beifall für Kresnik, der mit sehr eigenen Formen das Schicksal der Hannelore Kohl als Beispiel für das Schicksal einer ganzen Frauengeneration beleuchtet.

   Andreas Pecht
 
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