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2004-12-02 Politisches Buch:
Kant und Marx Seit' an Seit' ...

Oskar Negt ruft die Giganten zu (unserer) Hilfe

ape. Es ist ein 96 Seiten dünnes Bändchen, das als die vielleicht wichtigste und interessanteste der neueren Publikationen zum Thema Immanuel Kant gelten kann. Es handelt sich um die Abschiedsvorlesung des Sozialwissenschaftlers und Philosophen Oskar Negt im Sommer 2002, nachher unter dem Titel "Kant und Marx - Ein Epochengespräch" publiziert.
 
Obwohl akademischer Vortrag, ist dies der wohl lebendigste und realitäts-nächste aller bisherigen Beiträge zum Kant-Jahr. Negt behandelt Kant und Marx nicht als blutleere Klassiker, nicht als fürs heutige Leben längst irrelevante Spielfiguren intellektueller Schöngeisterei. Ausgangspunkt seiner Erörterung ist die Frage: "Worin besteht ihre Aktualität zur Klärung uns bedrängender Lebensprobleme?" Darin etwa, dass "nichts von dem, was Marx und Kant im Gesamtzusammenhang ihres Denkens als menschliche Existenzweise problematisiert haben, ausgestanden, erledigt, durch Realisierung aufgehoben (ist)."

Warum Kant und Marx? Weil sie wie sonst keiner die Philosophien des 19. und des 20. Jahrhunderts beeinflussten. Für Kant und das 19. wird dies niemand bestreiten wollen. Für den weithin (zu Unrecht als Sowjet-Stammvater und Stalin-Geburtshelfer) verpönten Marx sei ein unverdächtiger Zeuge angeführt: Oswald von Nell-Breuning, der Begründer der katholischen Soziallehre beschrieb den Trierer Philosophen und Ökonomen als denjenigen, auf dessen Schultern alle Gesellschaftsphilosophen des 20. Jahrhunderts stünden.

Kant und Marx, zwei analytische und denkerische Giganten, deren Blickwinkel auf die Welt allerdings grundverschieden scheinen. Hier Marx mit seinem Bemühen, "die Wirklichkeitsbedingungen der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse zu begreifen". Da Kant, für den auch eine noch so reiche Erkenntnis der materialen Wirklichkeit für die moralische Qualität menschlichen Handelns kaum von Belang ist. Und doch ringen beide mit dem Problem "wie die Welt sein soll und wie der beklagenswerte Zustand, in dem sich die Gegenwart aufhält, zu verändern ist".

Oskar Negt klammert das Trennende zwischen dem Moralphilosophen Kant und dem materialistischen Analytiker Marx nicht aus. Wichtiger indes sind ihm die tatsächlichen und die denkbaren Berührungspunkte, aus denen sich schließlich die Möglichkeit eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz ableiten lässt. Kant habe immer wieder gegen die Vermarktung der Menschen protestiert - was aus der Kantschen Kategorie vom "Menschen als Zweck an sich selbst", der niemals als Mittel zum Zweck missbraucht werden darf, logisch erwächst. Dieser Gedanke konveniert mit der Marxschen Ansicht, wonach der Arbeiter im entwickelten Kapitalismus nurmehr Mittel der Profitproduktion ist. Umgekehrt ist Marx' gesamtes Werk durchdrungen vom Verlangen nach Würde, Autonomie, Eigensinn, aufrechtem Gang wie Kant sie in seiner "Metaphysik der Sitten" postuliert.

Negt fasst nicht nur auf be  stechende Art Quintessenzen der Systeme beider Philosophen erhellend zusammen. Er rettet sie zugleich für den aktuellen Diskurs, indem er ihre Denkungsarten bezieht auf brennende Fragen wie Globalismus, Atom- und Gentechnik, Ökologie oder Bildungsdiskussion. Das Büchlein wird so zu engagierter "Aufklärung" fürs Heute. Negt klopft Immanuel Kant den Klassikerstaub vom Rock und rehabilitiert Marx von einer Schuld, die andere ihm aufgeladen haben. So werden aus Kant und Marx zwei Seiten einer Linse, durch die der Blick auf unsere Gegenwart ganz neue Schärfe gewinnt. Unbedingt lesen!
Andreas Pecht

 Oscar Negt: "Kant und Marx - Ein Epochengespräch". Steidl, 96 S., 14 Euro2004
 
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