Kritiken Musik
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2004-08-24 Konzert:
Alfred Brendels tiefes Sinnen

"Klavierphilosoph" liefert in aller Bescheidenheit ein Glanzkonzert
 
ape. Wiesbaden.  Jedes Jahr betritt er schlaksigen Schritts das Podium des großen Wiesbadener Thiersch-Saales, verbeugt sich knapp, setzt sich an den Flügel und beginnt ohn' jedes Getue umstandlos ein unerhörtes Spielen. Alljährlich ist der Auftritt von Alfred Brendel beim Rheingau Musik Festival einer der interessantesten unter den beglückenden Höhepunkten des klassischen Konzertjahres in der Region. Das Abendprogramm des österreichischen Pianisten spiegelt Schwerpunkte seines lebenslangen Schaffens wieder: Mozart, mehr noch Schubert, über allen Beethoven, dessen Klavierwerk er erstmals in Gänze auf Platte gebannt hatte.
 
Was macht der jetzt 73-jährige "Klavierphilosoph" mit den Sonaten 281 und 282 eines 22-jährigen Mozart? Er lässt sie sein, was sie sind: Kompositorisch gekonnte Spielereien mit den Regeln der damaligen Affektlehre, quasi musikalisch konfektionierte Posen, die diesen oder jenen Gemütszustand symbolisieren. Da hatte Mozart einmal mehr gehobenes Entertainment geschaffen - nicht ohne zugleich schelmisch Persiflagen derselben hinein zu vestecken. Brendel hat kongenial seinen Spaß an diesem Hintersinn, sein Spiel lässt aber keinen Zweifel, dass das mit Tiefsinn nichts zu tun hat.

Zu tiefem Sinnen führt er mit Franz Schuberts drei Klavierstücken D 946. Im Todesjahr 1828 vorwiegend in Moll komponiert, wurde und wird ihnen immer wieder Düsternis und Trostlosigkeit zugesprochen. Deutungen, denen Brendels Interpretation nachhaltig widerspricht. Ja, da wirken in es- oder as-Moll innere Unruhe, Traurigkeit, Einsamkeit; doch wie der Tag die Nacht, so ergänzen lyrische Gesänge, Tränen treibende Glücksmomente, selbst überschwängliche Tanzpassagen zur Dialektik des Lebensganzen. Brendel befestigt, Schubert interpretierend, die Gewissheit, dass wahre Freude ohne die Erfahrung von Trauer nicht zu haben ist; oder, dass auch Einsamkeit und Melancholie Potenziale des Glücks in sich tragen.

Alfred Brendels Auftritte bezeugen stets aufs Neue: Tastenakrobatik ist kein Selbstwert pianistischer Kunst. Die technische Bewältigung geschwinder Läufe, großer Sprünge, kontrapunktischer und rhythmischer Verwicklungen in Beethovens Sonate E-Dur op. 109 erscheint bei ihm als pure Selbstverständlichkeit, ist bloß Handwerkszeug, mit dem erst Kunst gestaltet werden kann.

Und so formt er das vom 50-jährigen Komponisten der 19-jährigen Maximiliane Brentano gewidmete Werk auf schier irritierend eigenwillige (und eben deshalb sehr Beethovensche) Art als musikalisch sehr ambivalenten Seelenkosmos: Aus einem seltsam unbestimmten Thema im ersten Satz entstehend, endend in sechs kontrastreicher kaum denkbaren Variationen eines Liedthemas zwischen Grübeln und Jubilieren, Bedauern und zärtlichem Umfangen.   Andreas Pecht
 
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