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2004-07-31 Ausstellung:
Erlebte Landschaft ohne Form

Koblenzer Museum Ludwig zeigt 100 Arbeiten des im März verstorbenen Informel-Künstlers Hans-Jürgen Schlieker
 
ape. Koblenz. Sie war ursprünglich als Würdigung zum 80. Geburtstag des Künstlers in diesem Jahr gedacht: die Ausstellung "Hans-Jürgen Schlieker: Arbeiten auf Papier 1953-2003" . Doch die Präsentationen im Frühsommer in Bochum und von diesem Sonntag an in Koblenz können die Arbeiten des Informel-Vertreters nur noch posthum vorstellen. Schlieker ist im März 2004 gestorben.
 
100 Werke auf zwei Etagen. Die Schlieker-Ausstellung im Koblenzer Museum Ludwig bringt zusammen, was zusammen gehört. Ergänzend zu den aus Bochum übernommenen Arbeiten auf Papier hat Museumschefin Beate Reifenscheid etliche großformatige Gemälde beigebracht. Chronologisch gehängt, wird aus der Ausstellung nun eine Retrospektive. Sie zeigt, dass der als ebenso gestrenger wie inspirierender Leiter des Musischen Zentrums der Ruhr-Universität Bochum bekannte Schlieker selbst Künstler von Rang war und als vollwertiges Mitglied der Informel-Familie um Emil Schumacher oder K.O. Götz gelten darf.

100 Werke - davon 95 in Rätseln sprechend, unkonkret, abstrakt, scheinbar inhaltslos. Scheinbar? Will uns der Meister etwas sagen mit jenen von Klecksen, Verläufen, Krakeln, Straffuren überquellenden Bildern? Was mag es bedeuten, dass diese Wirrniss im einen Werk kunterbunt ausfällt, im nächsten fast verstohlen in Richtung blauer oder roter oder beiger Grundtönung tendiert, im übernächsten den Betrachter mit einer schier monochromen Rostfläche erschreckt?

Chaos so weit das Auge reicht - doch beim ersten schnellen Blick reicht es halt noch nicht weit. Haltepunkte suchen, Spannungsmomente finden, das ist des Betrachters Aufgabe und Lust beim Informel, der informellen Kunst. Deren Art von Abstraktheit fürchtet die Tendenz zur strengen Geometrie anderer Stile der Moderne wie der Teufel das Weihwasser. Die "Bedeutsamkeit des Formlosen" erspüren, erproben, auskosten - darum geht´s. Also nochmal hingeschaut, genauer, geduldiger, aufgeschlossener. Hans-Jürgen Schlieker will wahrscheinlich nichts sagen; allenfalls zeigen, wie er etwas erlebte. Landschaften vor allem. Besser: Die Reflexe, die Landschaften in seinem Innern ausgelöst haben.

Und jetzt sehen wir sie allmählich, Farben der Provence, der Heide, vage Küstenlinien und ferne Gebirgsumrisse, das Muster sich wiegenden Grases; ein tief dunkelblau ruhender See inmitten eines Triptychons aus Flecken und Linien von Herbstfarben in der letzten Arbeit vor des Künstlers Tod. Einmal damit begonnen, wird das entdeckende Sehen leichter, effektiver, ergebnisreicher.

Schlieker spielt mit dem Licht, lässt es schimmern im Dunkel, aufleuchten aus fett aufgetragenem, zum Relief gespacheltem Schwarz. Dann die Brüche: Als wuchtig ordnende Fremdkörper in die anarchische Kleinteiligkeit gehämmert, gedroschen, getrieben. Das erinnert an Flussläufe in Landschaften, vom Weltall aus fotografiert.

Da gibt es heftig bewegte Bilder, die von einem wild den Pinsel im Kreise schwingenden oder mit dem Wachsstift wie einem Florett zustechenden Maler zeugen. Da gibt es fein und geduldig zu Papier gebrachte Strukturen, über die hernach Farbtropfen geflossen sind oder durch die ein im Zorn geführter Breitpinsel brutal eine Schneise schlägt. Da gibt es Arbeiten, die in all ihrer chaotischen Undurchdringlichkeit plötzlich ein kaum begreifliches Gleichgewicht der Farbgebung und eine faszinierende Stimmigkeit der Proportionen offenbaren. Und immer wieder mischt der Künstler Techniken und Materialien: Filz in Öl, Sand in Tempera, Bleistift zu Aquarell und manches mehr, das dann den Werken raffiniert oder befremdlich zu Gesichte steht.

Schliekers Bilder sind allesamt Rätselbilder, Suchbilder, ausgenommen einige aus den frühen 50er-Jahren. Die stellen gleich am Anfang der Ausstellung den Herkunftszusammenhang vor: In gegenständlicher Geometrie winken da eindeutige Verwandtschaften zu Franz Marc und Kandinsky vom Papier. Doch der Bruch kommt schnell und radikal: Schon Ende der 50er landet Schlieker bei der zornigen bis meditativen "Formlosigkeit" des Informel. Die wird in Koblenz ausgestellt - will vom Ausstellungsbesucher allerdings aufgefunden und errungen werden.    Andreas Pecht
 
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