Thema Kultur
Thema Menschen
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2004-03-03 Literaturszene:
Verwerfungen im Bücher-Land

Martin Walsers Trennung von Suhrkamp beendet ein Kapitel bundesdeutscher Literaturgeschichte - Schaden nehmen beide
 
ape. Das Bücher-Frühjahr beginnt mit einem Paukenschlag, verursacht von einem scheinbar außer-literarischen Ereignis: Wie dieser Tage offiziell wurde, verlässt Martin Walser den Suhrkamp Verlag und wechselt zu Rowohlt. Für die literarische Szene kann das keine folgenlose Kleinigkeit bleiben, denn mit der Trennung manifestiert sich das tiefe Zerwürfnis in einer Partnerschaft, die 50 Jahre lang zum Grundbestand des Literaturlebens in Deutschland gehörte.
 
Zwei Dinge scheinen sicher: Martin Walser verlässt Suhrkamp; seine bisherigen und kommende Bücher werden weiter im Buchhandel vertreten sein. Neben Grass, Lenz und dem verstorbenen Böll zählt er schließlich als Schwergewicht zur ersten Garnitur deutscher Nachkriegsautoren. Walser ist, obwohl in der zeitgenössischen Literatur anhaltend munter wie umstritten mitmischend, bereits Klassiker. Mag sich das juristische Gerangel um den Übergang der Rechte an seinen Alt-Werken von Suhrkamp an Rowohlt auch hinziehen, dass sie vom Markt verschwinden, ist schlechterdings undenkbar.

Es verlässt also in seinem 77. Lebensjahr ein Autor eben jenen Verlag, beim dem er fast 50 Jahre lang beheimatet war. Einen Verlag, der sein OEuvre von 1955 bis 2003 edierte, pflegte, der ihn, sein Werden und Wirken begleitete, förderte. Bei Suhrkamp erschienen die frühen Romane "Ehen in Philippsburg" und "Halbzeit", die ebenso sperrigen wie polarisierenden Theaterstücke "Überlebensgroß Herr Krott", "Schwarzer Schwan", "Zimmerschlacht". Suhrkamp verlegte in den 60ern die Kristlein-Trilogie, in den 70ern "Ein fliehendes Pferd", in den 80ern "Brandung", in den 90ern "Ein springender Brunnen" und im neuen Jahrtausend "Lebenslauf der Liebe" sowie zuletzt den skandalumwitterten Kolportagekrimi "Tod eines Kritikers". Bekannte Marksteine aus einer halben Bibliothek, aus 136 (!) von diesem Verlag herausgegebenen Walser-Titeln, komplettiert durch eine feine Edition Gesammelter Werke anlässlich des Autors 70. Geburtstages.

Ist Walser also bloß ein undankbarer Tropf, der etwa des Geldes wegen im Alter noch mit seinen Pfunden wuchert? Ums Geld geht's ihm selbst nicht, auch das scheint sicher. Das Zerwürfnis resultiert aus markanten Veränderungen beider Ex-Partner, die wohl schon 2002 ihr entscheidendes Stadium erreichten. Bereits 1998 hatte Walser mit seiner Paulskirchenrede seinen Verlag in Verlegenheit gebracht. Ein Haus, in dem Brechts und der Gruppe 47 Geister umgehen, das Enzensberger, Uwe Johnson und Thomas Bernhard pflegt, können Vorwürfe, sein Autor Walser würde den Holocaust verharmlosen, nicht gleichgültig lassen. Suhrkamp ging auf Distanz.

Vier Jahre später wurden gegen den Walser-Roman "Tod eines Kritikers" Antisemitismus-Vorwürfe erhoben. Damals lag der legendäre Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld im Sterben - der Verlag ließ derweil seinen Autor ziemlich allein im medialen Kugelhagel stehen. Die Verletzungen auf Seiten des sich schon vorher wieder und wieder zu Unrecht angegriffen fühlenden Schriftstellers sind vorstellbar. Mit der Machtübernahme durch die Unseld- Witwe Ulla Berkéwicz bei Suhrkamp rissen dann wohl die letzten Verbindungsfäden. Wenn der Verlag nicht mehr ist, was er war, und der Autor auch nicht mehr, dann führt an der Scheidung kaum noch ein Weg vorbei.

Martin Walser gerät nun unter Zeitdruck, denn mit 77 Jahren bei einem neuen, vorrangig auf internationale Literatur orientierten Verlag das ganze Lebenswerk von Grund auf neu ordnen, das wird schwer. Mehr Sorge macht freilich, welchen Weg der bislang überwiegend deutschsprachig ausgerichtete Suhrkamp Verlag nimmt. Walsers Auszug ist ein weiterer Schlag von vielen, die das Frankfurter Haus seit dem Tod von Unseld hinnehmen musste - oder sich einbrockte. Und es ist, auch finanziell, ein schwerer Schlag.

Wenn tatsächlich, wie "Süddeutsche Zeitung" und FAZ jetzt mutmaßen, Suhrkamp und Rowohlt an einer programmatischen Neuorientierung werkeln, dann heißt es: Obacht geben. Denn auf allzu viele anspruchsvolle, das kritische Geistes- und Kulturleben inspirierende Qualitätssäulen kann sich auch der deutsche Literaturbetrieb nicht mehr stützen. Suhrkamp und Rowohlt waren bis dato zwei der verlässlichsten. Andreas Pecht
 
Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken