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2003-01-28 Schauspielkritik:


"Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomedia" von Botho Strauss in Koblenz. Regie: Annegret Ritzel

 

Welttheater an der Hotelrezeption

 
ape. Koblenz. Nach einer Phase eher unauffälliger Randständigkeit brachte das Stadttheater Koblenz jetzt eine Produktion zur Premiere, die Vergleiche mit den Bühnen in Rhein- Main und Köln-Bonn nicht zu scheuen braucht. Intendantin Annegret Ritzel hat ein Stück von Botho Strauß - ihres einstigen Schulkameraden in Bad Ems - inszeniert: "Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomedia".
 

Es ist ein großer Abend geworden, und das nicht nur der Opulenz wegen: 106 Einzelrollen, während dreieinviertel Stunden von 28 Darstellern realisiert; dazu etliche Statisterie-Tableaus. Das Stück mit dem seltsamen Titel "Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomedia" (= Welttheater), 2001 in Bochum uraufgefürt, wird nach München, Berlin und Wien mit der Koblenzer Inszenierung erstmals in einem kleinen Stadttheater gezeigt.

Es ist ein großer Abend geworden, und das nicht nur der Modernität des Stückes wegen: Annegret Ritzel hat zu ihren - auch in dieser Zeitung oft gewürdigten - Stärken zurückgefunden, zeigt diesmal, was sie wirklich kann. Jede Rolle wurde in Koblenz individuell und fein ausgeformt, jede der 18 Szenen atmosphärisch stimmig eingefärbt und getaktet. Aus einer Textvorlage, die man nach der Lektüre für kaum spielbar hält, hat die Regisseurin einen ebenso sinnlichen wie humorigen wie intellektuell spritzigen und zeitkritischen Abend gemacht.

Als ihr eigener Bühnen- und Kostümbildner deutet die Regisseurin die Eingangshalle eines sehr modernen Hotels an. Rezeption, Bar, Design-möblierte Vestibülecke, Lift, Konferenzsaal - die Bühne bietet etliche, zueinander offene Spiel-Räume. Durch dieses Hotel strömen die Zeitgenossen, hastend oder verweilend, einander suchend oder meidend, hoffend oder verzweifelnd ... Typen wie du oder wie ich oder wie jener und jene; liebenswerte, lächerliche, erbarmungswürdige, harte, weiche, verhärtende, erweichende. Und alle, alle sprechen, reden, schwatzen - miteinander, übereinander, aneinander vorbei.

Als roter Faden zieht sich die wechselhafte Beziehung zwischen dem Kleinstverleger Zacharias Werner und der liebesbedürftigen Autorin Sylvia Kessel durch die vielgestaltige Szenenfolge. Silke Heise spielt die Schreiberin als eine nervöse, mal überdrehte, mal frustierte junge Frau wie man sie im urbanen Szenebetrieb immer wieder findet. Denis Abrahams stellt einen fast bubenhaften Werner dar, der sich ständig überschwänglich auf dem Weg zum Bestseller-Erfolg wähnt, tatsächlich aber Hinz und Kunz um Zuschuss für sein Ideal vom Qualitätsverlag beknien muss. Schließlich verkauft er sich an einen Großverlag, der kurz drauf von einem noch größeren geschluckt wird.

Nebenher geht er einem Broterwerb als Kandidatenvortester für ein Fotoshooting nach. Zehn Damen stellen sich vor, zehn Momentpsychogramme werden aufgeblättert. Hernach verhandelt er mit den hanseatisch-vornehmen, aber durchgeknallten Nachkommen des Komponisten Skrjabin über die Herausgabe einer Biografie. Nachts begegnet er in der Hotelhalle einer verlockenden Bar-Fee (reizend poetisch auf Spitze Madeleine Niesche). Später beglückt er im Portierzimmer 'ne reiche Dame (J.E. Anthony). Dazwischen treten auf: tröstende Liftboyin, zerstrittene Komiker, schwäbischer Geldsack, Sachsen-Tussie, greise Eheleut', frustrierte Rezeptionsdamen, Reisegruppen und viele mehr. Ob leise oder laut, frivol, skurril oder bemitleidenswert: Sämtlich machen sie ihre Sache ausgezeichnet.

Sinn und Unsinn, Tiefsinn und Belanglosigkeit kommen zusammen, wechseln fortwährend die Plätze, werden zur Sinfonie (oder Kakophonie) der Gegenwart. Botho Strauß' Stück ist auch ein Spiegel für jedermann heutzutage, da Sprache allfälliges Rauschen, schein-kommunikatives Plappern geworden ist. Strauß, eine der wichtigsten Stimmen deutschsprachiger Schriftstellerei unsrer Zeit, erzählt keine Gegenwartsstory, er charakterisiert Gegenwart, macht sie fest an zahlreichen kleinen Hotel- Episoden. Annegret Ritzel formt daraus ein sprühendes, Theaterformen von der boulevardesken Parodie bis zum psychologischen Kammerspiel geschickt nutzendes Panorama menschlicher Eigenart(igkeiten). Die mehrbödige Inszenierung lohnt jede Anreise.                                                                 Andreas Pecht
 
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