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2003-01-22 Schauspielkritik:

"Tartüffe" babbelt Hessisch


Dietrich Hilsdorf schickt den Moliére-Klassiker im Staatstheater Wiesbaden als derben Schwank auf Zeitreise

 
ape. Wiesbaden. Ein französischer Klassiker aus dem Jahr 1664, von Wolfgang Deichsel in hessische Mundart übertragen und von Dietrich Hilsdorf fürs Staatstheater Wiesbaden als Epochen-übergreifende Lehrgroteske eingerichtet: "Der Tartüff".

Nicht, dass die hessische Übertragung (1972 am Frankfurter TaT uraufgeführt) eine Offenbarung wäre. Sie macht Molières feine Komödie herber, derber, treibt sie in Richtung Volksschwank - und ist deshalb Geschmackssache; "verspielte Kinderrei" merkt ein Premierenbesucher, wie die meisten übrigen durchaus gut gelaunt, an.

Dass nur wenige der insgesamt sehr saftig aufspielenden Wiesbadener Akteure der heimischen Zunge wirklich mächtig sind, macht die Sache weder besser noch schlechter.

Bedeutsamer ist da schon Hilsdorfs Regie-Idee, die fünf Akte des Werkes in fünf verschiedenen Epochen anzusiedeln. Gestartet wird in der Ursprungszeit mit barocker Rüscherei über Kniebundhose. Hernach geht's - Schocktherapie gegen verniedlichende Kurzweil - ins laut krachende, Neon-beleuchtete, versoffene Punk- und Assi-Milieu.

Dann zurück ins 19. Jahrhundert, wieder voran in die Wirtschaftswunder-1950er, Landung schließlich im ganz frühen 20. Jahrhundert. Haitger M. Böken markiert mit dem Bühnenbild, Renate Schmitzer mit den Kostümen die Stationen der theatralischen Reise durch die Zeiten. Die Botschaft ist eindeutig: die Scheinheiligkeit des Herrn Tartüff verfängt in jeder Generation, weil jede Generation ihre Orgons hat. Thomas Klenk macht mit der Titelfigur kein mehrschichtiges Federlesen. Sein Tartüff ist ein abfeimter, schleimsülziger, widerlicher Religionsbetrüger durch und durch. Bürger Orgons Besitz übernehmen, dessen Tochter ehelichen und dessen Weib schon vorab flachlegen, das will er, nicht weniger.

Und wie kriegt er Orgon so weit, dass der sich, die Seinen und das Seine ihm freiwillig in den Rachen wirft? Tartüff packt den Hausherrn einfach an seinen Schwächen. Benjamin Krämer-Jenster stellt den Orgon als wuseligen Gernegroß, garstigen Familientyrannen vor, als großmannssüchtigen Hämpfling mit Michelmütze, der gerne wäre wie Tartüff ist beziehungsweise ihm erscheint: pralle Wurst statt kleines Würstchen.

Dass dieser Orgon in der Punkwelt Hand an die eigene Tochter (schön görenhaft: Franziska Geyer) legt, in älteren Welten das Dienstmädchen (in abgestufter Rotzigkeit: Ulrike Gubisch) befingert, schließlich des überführten Tartüff Platz am Hinterteil seiner Gattin (Evelyn Faber) einnimmt, das alles passt trefflich ins Charakterbild.

So kommt eines zum andern und die Orgon-Sippe schier an den Bettelstab. Das glückliche Ende ist bekannt, wird in Wiesbaden als operettenhaftes Volksgericht wider den üblen Tartüff gesungen. Schluss? Nein, vor dem schon geschlossenen Vorhang folgt ein kleiner giftiger Epilog: Der eben noch den Gauner anklagende Richter hebt den Gefallenen auf - so einfallsreiche Leute könne man bei Staate sehr gut gebrauchen.

Nachträglich erschließt sich dann auch die Wahl der Dialekt-Version des Stückes: Die Hilsdorfsche Epochen-Inszenierung hätte sich vor allem in den 1950er- und Gegenwartsakten mit den traditionellen Molière-Übertragungen wesentlich schwerer getan. Hessisch babbelt's sich halt heid so gud wie dunnemols.                                                 Andreas Pecht
 
 
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